Nach 54 Jahren ist das Regime der Familie Assad in Syrien zusammengebrochen. Viele hatten gedacht, diese Diktatur wäre so mächtig, dass sie sich ewig halten würde. Doch hinter der Fassade war das Regime vollkommen morsch.
In der Bevölkerung hatte es schon lange jede Unterstützung verloren. Seine Unterstützer im Ausland (Russland, Iran, die Hisbollah) sind geschwächt. Und am Ende hat selbst die Armee und der Großteil des Staatsapparates Assad fallen gelassen. Es brauchte nur noch einen kleinen Stoß und schon fiel das Regime in sich zusammen.
Seitdem geht die Bevölkerung auf die Straße. Sie hat die Gefängnisse gestürmt, die Gefangenen befreit und die Akten öffentlich gemacht, die die Folter und das Martyrium der hunderttausenden Gefangenen des Regimes belegen. Viele Familien haben erst so erfahren, dass ihre verhafteten Angehörigen nicht mehr leben. Andere konnten ihre Lieben in die Arme schließen, die 20 oder 30 Jahre lang in den Kerkern Assads lebendig begraben gewesen waren.
In dieses Folterregime wollten deutsche Politiker, allen voran CDU und AfD, in den letzten Jahren immer wieder syrische Geflüchtete zurückschicken – mit dem Argument, dass es dort ja „sicher“ wäre! Und nun versetzen sie die syrischen Geflüchteten erneut in Angst und Unsicherheit. Assad war kaum gestürzt, da forderten die ersten Politiker bereits ihre Ausweisung. Und Deutschland und die meisten anderen EU-Länder hatten nichts Eiligeres zu tun, als alle Asylverfahren für Syrer zu stoppen. Dabei weiß niemand, wie es in Syrien weitergeht.
Die bewaffnete Miliz, die die Macht erobert hat, verspricht zwar freie Wahlen und demokratische Rechte. Und ihr Anführer, der bei Al-Kaida in der Lehre war, verspricht Respekt und Freiheit auch für religiöse und ethnische Minderheiten. Doch das sind Worte. Und es wäre sehr gefährlich, ihnen zu vertrauen.
Die islamistische Miliz hat bereits mehrere Jahre in Nordsyrien regiert und dort ebenfalls Proteste niedergeschlagen und rivalisierende Kräfte ausgeschaltet. Und sie stützt sich heute auf große Teile des alten Staats- und Gewaltapparates.
Sollen wir wirklich glauben, dass diese Miliz kampflos das Feld räumen würde, sollte sie bei Wahlen verlieren (wenn sie überhaupt Wahlen organisiert)? Oder dass sie ruhig zusieht, wenn Armut und Wirtschaftskrise zu größeren Streiks und Protesten gegen sie führen?
Solange eine kleine Minderheit an der Macht die Waffen, solange sie Armee, Polizei und Banken in ihren Händen hält, kann sie Vieles versprechen – und morgen schon das Gegenteil tun. Die Taliban haben 2021 auch versprochen, die Rechte der Frauen zu respektieren, insbesondere ihr Recht auf Arbeit und Bildung. Und dann haben sie das Gegenteil getan. Die arbeitende Bevölkerung in Syrien hat also allen Grund, dem neuen Regime nicht zu vertrauen und wachsam zu sein.
Assad war obendrein noch keinen Tag gestürzt, da hat die US-Armee erneut dutzende Bomben in Syrien abgeworfen. Ganz selbstverständlich nehmen sich die USA nämlich das Recht, in Syrien militärisch einzugreifen.
Israel hat den Sturz Assads genutzt, um mit Bodentruppen ins Land vorzurücken. Und es hat ganz Syrien mit großflächigen Bombenangriffen überzogen und dabei die meisten Waffenlager der syrischen Armee zerstört – mit dem erklärten Ziel, dass Syrien ihnen dadurch auf Jahre militärisch ausgeliefert ist.
Hinzu kommt noch der ölreiche Nordosten Syriens: Hier greifen von der Türkei finanzierte Milizen weiterhin die Gebiete an, die derzeit in den Händen kurdischer Milizen sind und die ihrerseits mehr oder weniger unter dem Schutz der USA stehen.
Und das sind nur die Kämpfe der ersten Tage. Was wird als nächstes kommen?
Die Gefahr ist groß, dass der Krieg um Einflussgebiete erneut aufflammen wird. Denn die Ursache für den seit 13 Jahren anhaltenden Bürgerkrieg ist noch immer da: Es ist der Konkurrenzkampf um Macht und Einfluss, den sich die imperialistischen Großmächte, allen voran die USA, sowie verschiedene Regionalmächte wie die Türkei, Russland oder der Iran dort liefern und für den alle beteiligten Staaten Milizen ausrüsten.
Es ist derselbe Konkurrenzkampf, der den gesamten Nahen Osten in Brand steckt; der verantwortlich ist für das Massaker in den Palästinensergebieten, den jüngsten Krieg im Libanon, den Krieg im Jemen, den anhaltenden Konflikt im Irak…
Der deutsche Staat steht dabei zwar nicht an vorderster Front. Doch er liefert in großem Stil Waffen an Israel und die Türkei, die in Syrien heute weiter Krieg führen.
Diejenigen, die einen dauerhaften Frieden in Syrien verhindern, die verhindern, dass das Land wieder aufgebaut werden kann, sitzen also auch bei uns, im deutschen Staatsapparat, in den Spitzen der Rüstungskonzerne… und generell in den Machtpositionen einer Wirtschaftsordnung, in der (hauptsächlich westliche) Konzerne die ärmeren Länder ausbeuten und ruinöse Kriege für Öl und Wirtschaftsinteressen führen.
Doch wenn uns die letzten Tage eines wieder vor Augen geführt haben, dann dass keine Diktatur ewig und allmächtig ist – auch nicht die Diktatur des Großkapitals, auch nicht die Diktatur der imperialistischen Staaten und ihrer Konzerne über den Rest der Welt.
Auch ihr kapitalistisches System, das die Welt immer weiter zerrüttet, ist schon lange morsch und kaputt. Die Arbeiterklasse kann es stürzen – unter der Bedingung, dass sie nicht dabei stehen bleibt, Regierungen zu stürzen, sondern sich darauf vorbereitet, als arbeitende Klasse alles selber in die Hand zu nehmen: die Betriebe, die Banken und den gesamten Staatsapparat. Nur so können wirkliche Demokratie und Freiheit für alle entstehen.