Wer in Not ist und einen Krankenwagen ruft, sollte ihn künftig erst selber bezahlen! Diese widerwärtige Sparmaßnahme hatte die Stadt Essen beschlossen. Andere Städte in NRW hatten bereits angekündigt, dies ebenfalls zu tun.
Zum Glück gab es sofort von allen Seiten empörten Protest. Und so wurde die Maßnahme erst mal wieder ausgesetzt, allerdings bislang nur für vier Monate.
267 Euro sollten die Betroffenen für einen Krankenwagen bezahlen, der lebenswichtig sein kann.
All diejenigen, die wenig Geld haben, würden damit in die Situation gedrängt überlegen zu müssen, ob sie in ihrer Sorge einen Krankenwagen rufen oder versuchen, selber ins Krankenhaus zu fahren – mit all den dramatischen Folgen, die dies haben kann.
Ihr Versuch gibt uns einen kleinen Eindruck davon, was uns erst mit der angekündigten großen „Reform“ der Krankenversicherung erwarten dürfte, wenn wir uns dem nicht entgegenstellen!
Schon jetzt hängt immer mehr unserer Gesundheit vom Geld ab: Wie viele Medikamente, Untersuchungen und Therapien werden nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen? Wie lange muss man teilweise auf einen Arzttermin, ein MRT oder eine Operation warten – mit der Folge, dass es teilweise zu spät für eine (vollständige) Heilung ist? Und reden wir gar nicht von der wachsenden Zahl an Privatstationen in den Krankenhäusern, an Arztpraxen nur für Selbstzahler…
Schleichend entwickeln sich auch hier Zustände, wie wir sie aus den USA und fast allen ärmeren Ländern kennen: Dass man nur dann halbwegs sicher und schnell behandelt wird, wenn man das Geld hierfür hat oder sich zum Teil für Jahre und Jahrzehnte verschuldet.
Dass hier nach dem Ende des 2. Weltkriegs ein etwas sozialeres System eingeführt worden war, lag nicht daran, dass die Herrschenden hier damals menschenfreundlicher gewesen wären – sondern daran, dass sie Angst hatten, und zwar vor den Arbeiter*innen.
Nach dem 1. Weltkrieg hatten diese sich nämlich in Revolutionen erhoben. Sie wollten die Kapitalisten entmachten, die sie mit ihrem Kampf um Rohstoffe und Profit in einen Weltkrieg gestürzt hatten. Nur knapp gelang es der kapitalistischen Klasse, an der Macht zu bleiben.
Nach dem 2. Weltkrieg hatten die Herrschenden Angst, dass sich dies wiederholen könnte. Die große Mehrheit der Bevölkerung machte damals zurecht die Großkonzerne für die Katastrophe des Faschismus und des 2. Weltkriegs verantwortlich und verlangte nach deren „Sozialisierung“.
Darüber hinaus wollten die Regierungen im Westen in ihrer Konkurrenz zur „Ostzone“ den Arbeitern das System halbwegs schmackhaft machen. Aus all den Gründen waren sie bereit, auf einen kleinen Teil ihrer (von den Arbeitenden geschaffenen) Profite zu verzichten, um die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung massiv zu verbessern.
Sie wollten die Illusion schüren, es herrsche gar nicht mehr Kapitalismus, sondern eine andere Wirtschaftsordnung, die sie „soziale Marktwirtschaft“ tauften. Sie hofften, auf diese Weise Revolten der Arbeitenden zu verhindern – umso mehr, da gerade das sogenannte „Wirtschaftswunder“ begann, dessen sprudelnden Profite sie nicht gefährden wollten.
Doch die Zeiten sind lange vorbei. Seit mehreren Jahrzehnten holt sich die herrschende Klasse Stück für Stück all das wieder zurück, was sie uns hatten zugestehen müssen – zugunsten der Profite der Kapitalisten. Statt mit dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik immer besser zu werden, werden Gesundheitsversorgung, Arbeitsbedingungen und Renten seit Jahren schlechter.
Und heute wollen sie zu einem Generalangriff übergehen.
Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise lassen sie auch die letzte soziale Maske fallen. Jetzt gilt nur eins: Mit allen Mitteln dafür zu sorgen, dass die Kapitalisten auch in dem immer härteren internationalen Konkurrenzkampf weiter ihre Profite steigern können.
Gigantische Summen hat die Regierung dafür bereits ausgegeben. Allein in den letzten drei Jahren hat sie die Steuern der Kapitalisten um fast 100 Milliarden Euro pro Jahr gesenkt. Sie hat ihnen außerdem mehrere hundert Milliarden Euro an Subventionen geschenkt – von den hunderten Milliarden an Rüstungsaufträgen ganz zu schweigen. Und die Kapitalisten verlangen immer mehr.
Die Kapitalisten sind dank dieser Politik so reich wie noch nie. Die Zahl der Milliardäre in Deutschland ist in diesem Jahr noch einmal um ein Drittel (!) gestiegen. Unter ihnen Besitzer von Chemiefirmen, aus Maschinenbau, Rüstung und Autoindustrie – also genau die, denen die Regierung das meiste Geld in den Rachen geworfen hat, weil es ihnen angeblich so schlecht gehe.
Und wir sollen dafür bezahlen. Deshalb die Ankündigung eines regelrechten Kahlschlags bei Krankenversorgung und Rente. Deshalb die drastischen Kürzungen bei allen Teilen des Öffentlichen Dienstes, die vor allem der normalen Bevölkerung nutzen. Und das ist erst der Anfang.
Wenn es so weiter geht, drohen sie uns wortwörtlich um 100 Jahre zurückzuwerfen, als ihre Krise und ihr internationaler Konkurrenzkampf um Rohstoffe und Märkte bereits zwei Mal in die Barbarei eines Weltkriegs geführt haben.
Wenn wir dies verhindern wollen, werden wir das wieder aufnehmen müssen, was die Arbeiterinnen und Arbeiter am Ende des 1. Weltkriegs begonnen haben: Wir müssen den Kapitalisten die Macht über die Betriebe und den Staat wegnehmen – und sie selber unter unserer Kontrolle im Interesse der Allgemeinheit leiten.
