Nach dem schrecklichen Schiffsunglück mit über 800 Toten am 19. April ist es momentan leiser geworden um das Los der Flüchtlinge. Doch die Tragödie im Mittelmeer geht weiter. Täglich sterben weiter dutzende Menschen bei dem Versuch, dem Horror des Bürgerkriegs, der Diktatur oder der bitteren Armut zu entkommen und nach Europa zu gelangen.
Einen weniger gefährlichen Fluchtweg gibt es für sie nicht. Denn Europa hat alle seine Grenzen verschlossen. Ein Flüchtling im Irak kann nicht einfach in einen Zug oder ein Flugzeug steigen und legal nach Europa kommen. Er bekommt kein Visum. Seine einzige Chance ist, sich den Schleusern, diesen Menschenhändlern des 21. Jahrhunderts anzuvertrauen – auch wenn er dabei riskiert, in einem Container oder im Meer zu sterben.
Die EU könnte das widerwärtige Geschäft der Schleuser und das grausame Sterben der Flüchtlinge mit einer einzigen Entscheidung beenden: Indem sie den Flüchtlingen die Möglichkeit gäbe, legal nach Europa einzureisen und Asyl zu beantragen. Doch das Gegenteil passiert. Die europäischen Grenzen werden immer noch schärfer überwacht, die Flucht nach Europa damit immer lebensgefährlicher. Und die wenigen, die die Odyssee überleben und in Europa ankommen, wollen die Regierungen am liebsten so schnell wie möglich wieder abschieben. Angefangen bei denen, die sie abfällig als „Armutsflüchtlinge“ oder gar „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnen.
Ja, wenn man die Politiker reden hört, dann ist es gerade noch akzeptabel, dass jemand vor Bomben und Krieg flieht. Aber „nur“ vor Elend oder Diktatur zu fliehen, wirkt bei ihnen wie ein Verbrechen. Dabei müssten gerade wir in Europa es besser wissen. Wohl die größte Auswanderungswelle, die die Welt in den letzten zweihundert Jahren erlebt hat, war die der Europäer – der Millionen Deutschen, Iren, Italiener – die im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vor allem nach Amerika und Australien gingen, um der Armut in Europa zu entfliehen und sich eine bessere Zukunft aufzubauen. Und später: Wie viele Deutsche sind in der Nazizeit aus Deutschland geflohen, nicht nur Juden, sondern hunderttausende andere, die diese fürchterliche Diktatur nicht ertragen konnten.
Nein, es gibt keine zwei Klassen von Flüchtlingen. Es ist auch nicht erträglicher, dass ein 13jähriger Junge aus Eritrea im Mittelmeer ertrinkt, der dem Elend entfliehen wollte als einer, der vor dem Bürgerkrieg in Syrien flieht.
Überhaupt ist es nicht erträglich, dass in unserer modernen Zeit Zehntausende im Mittelmeer ertrinken und nicht alles getan wird, um sie zu retten. Dass man sie einfach sterben lässt.
„Aber Europa kann doch nicht das Elend der Welt aufnehmen“, sagen die Herrschenden, um ihre Untätigkeit zu rechtfertigen und uns einzureden, dass man gegen das Elend und Sterben halt nichts machen könne, dass man sich damit abfinden müsse. Aber gerade diese Gleichgültigkeit tötet!
Und sie tötet nicht nur die Armen aus Afrika oder dem Irak: Heute oder morgen tötet sie auch bei uns. Denn die Herrschenden interessieren sich für unser Leben genauso wenig. Ihnen ist es egal, wenn ein Arbeiter entlassen wird und nicht mehr weiß, wie er seine Miete bezahlen soll. Und auch wir sollen es als normal hinnehmen, wenn der alleinerziehenden Mutter nebenan der Strom abgestellt wird oder eine 70jährige Flaschen sammeln muss.
Uns aber darf das Schicksal der arbeitenden Bevölkerung nirgendwo gleichgültig sein. Denn sie alle sind ein Teil von uns. Und ihr Los kann morgen das unsere sein.
Wir dürfen uns auch nicht einreden lassen, dass das ganze Elend hier wie dort normal wäre, dass man nichts dagegen machen könnte. Die Technik und die Produktionsmittel sind heute mehr als ausreichend, um die Bedürfnisse der gesamten Menschheit zu befriedigen. Die Welt und auch Europa waren noch nie so reich wie heute.
Doch diese Reichtümer reißt die kapitalistische Klasse an sich. Das ist das Problem! Denn diese Minderheit erstickt im Reichtum und bereichert sich weiter, indem sie die Arbeiter der gesamten Welt ausbeutet und ärmer macht. Mittlerweile hat sie in ihrer Profitgier ganze Kontinente dermaßen ausgeplündert und verarmt, dass diese in Elend und Bürgerkrieg versinken.
Und wenn dann vor diesem Elend Menschen fliehen, dann sagen dieselben Herrschenden, dass man ja nicht das Elend der Welt aufnehmen könne. Ja, nachdem sie das Leben in diesen Ländern zur Hölle gemacht haben, wollen sie noch, dass die Bevölkerungen dort stillschweigend in der Hölle bleiben und zugrunde gehen!
Und uns Arbeitern hier wollen sie glauben machen, dass dies auch für uns das Beste sei. Dass wir nur dann verhindern könnten, immer ärmer zu werden, wenn man die Ärmsten daran hindern würde, nach Europa zu kommen.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir Ausgebeuteten müssen uns nicht vor den Ärmsten, sondern vor den Kapitalisten schützen. Es ist ihre Herrschaft, die so viel Ungleichheit und Ungerechtigkeit schafft. Wir Arbeitenden können uns nur vor Elend schützen, wenn wir selber die Kontrolle über die Reichtümer übernehmen. Nur so können wir verhindern, dass diese von einer kleinen Minderheit einkassiert werden, während die Arbeitenden weltweit verarmen. Nur so können diese stattdessen dem Wohlergehen der gesamten Menschheit dienen.